Erfahrungsberichte

Erika (Ü50) - Jul/Aug 2015 - Dauer: 4 Wochen

Ich wollte unbedingt einmal ein afrikanisches Land von innen angucken. D.h. in die Kultur eintauchen und sie verstehen lernen. Was ist in Kenia so anders als in Deutschland? Wie kann ich dort trotzdem glücklich und zufrieden leben, obwohl der Standard und die Lebensumstände sehr wahrscheinlich schlechter sind als im hochentwickelten Europa. Auf der Seite von www.betterplace.org finde ich hunderte von Fähnchen. In fast jedem Land kann ich mich entwicklungsmäßig verausgaben. Meistens suchen sie junge Leute, die für ein Jahr mitarbeiten können. Aber ich bin alt! Ü50 und habe nur vier Wochen Zeit. Nach drei Stunden surfen bin ich bei KEDOVO gelandet, weil sie die beste organisierte Seite hatten und relativ schnell reagiert haben. Das kommt bei jemand aus Deutschland schon mal gut an. Soni hat mein Englisch getestet und mir schon mal ein „go“ gegeben. Ich habe alles geregelt. Dann hatte ich noch Angst vor Terroristen, Überfällen und was man sich sonst noch so denken kann. War schließlich das erste Mal. Aber nach der Flugbuchung gab es für mich keinen Rückzieher mehr.

Meinen Kulturschock hatte ich gleich in den ersten zwei Wochen. Ist schon krass, es mit den eigenen Augen zu sehen. Alle Bilder und Texte können nie das wiedergeben, was du selbst erlebst. Die erste Woche in der Schule: Kirichu Primary School. Viktor fährt mich jeden Tag mit dem Motorrad hin. Ich bestehe darauf, seinen Helm zu tragen. Leider hat er dann keinen mehr auf. Zum Glück ist er ein besonnener Fahrer. Motto der Schule: Discipline for progress. Jeden Morgen um 7.45 Uhr Fahnenappell, Nationalhymne, Bibeltext und Begrüßung von Gästen. Dann gerate ich in einen Film und bin der Star der Woche. Ich bin für die 450 Schüler eine Außerirdische. Die ganze Meute strömt auf mich zu. Alle wollen mich anfassen wegen meiner Hautfarbe. Alle wollen in meinen hellen, weichen und etwas längeren Haaren rumwuscheln. Die Schulklasse: Da sitzen 60 Schüler in einer Klasse und es ist still! Das muss man sich mal vorstellen. Die haben einen riesen Respekt vor dem Lehrer, manchmal aber auch tierische Angst. Dann durften sie mir Fragen stellen: Was isst du, damit du so eine weiße Hautfarbe bekommst? Wieviel Stämme gibt es bei euch in Deutschland? Ich durfte auch Fragen stellen: Was machst du mit 100€? Antwort: Schulgeld und Familie versorgen. Was hätte wohl ein deutscher Schüler geantwortet? In welches Land würdest du gern mal reisen? Antwort: China. Kaum ein Schüler wusste genau, wo Deutschland liegt. Wen immer ich in den vier Wochen fragte, nach Deutschland wollte eigentlich keiner wirklich auswandern, vielleicht mal gucken. Aber Kenia ist z.Zt. so stabil, dass man dort relativ ruhig leben kann. Schulgeld ist von der ersten bis zur achten Klasse frei. Die Uniformen und glatt rasierten Köpfe der Jungen und Mädchen sollen alle gleich machen. Aber sie sind nicht gleich. Die kaputten Uniformen verraten die armen Kinder.

Zweite Woche: Die Projekte von KEDOVO haben mich echt krass beeindruckt. Ein Wassertank für den Bauern zum Regenwasser sammeln, ebenso eine Biogasanlage, die Kuhmist und Pflanzenreste zu Gas zum Kochen verwandelt. Und die 60 Hühner, mit Stall und Futter, die Frauen als Kredit bekommen können, um durch den Eierverkauf zu etwas mehr Gewinn zu kommen. Das klappt echt gut. Die Männer sind da leider zu unzuverlässig! Kaffeeanbau: Das ist echt ein mühseliges Geschäft und ein langer Weg, bis die Bohne in meine Tasse kommt. Ich habe es jetzt verstanden. Respekt an Soni und Dave für euren Ehrgeiz, für die ganze Bauernschaft von Ndurutu samt Familie, die Qualität des Kaffees durch Beratung und die Preise durch Direktvertrieb zu verbessern.

Dritte und vierte Woche: Mit dem Matatu (Kleinbus) fahre ich jetzt allein! jeden Morgen zum Waisenhaus „Neema Rescue Center“ in Chaka. Apropos Matatu: Da passen 14 Leute plus Fahrer rein. Real sitzen aber oft 20 plus drei Kleinkinder drin! Waisenhaus: Das war ein tiefer Schock. Ich komme an und denke, das ist der Schafstall. Aber es ist ein Kinderzimmer. Dunkel, karg, Metallbett, kein Schrank, kein Bild, keine Spielsachen, keine Farbe, kalter Zementfußboden, kein Licht. Die Matratzen, oder was davon so übrig ist, trocknen tagsüber in der Sonne. Krass. So eine Armut kann ich kaum aushalten und will handeln. Aber ich warte ab. Ich will nicht gleich der Macher und Besserwisser sein. Vormittags rede ich viel mit Grace, der Leiterin des Waisenhauses. Sie erklärt mir alles was ich wissen will. Und das ist viel. Sie hat eine Lizenz vom Staat. Wenn ein kommunaler Mitarbeiter o.a. ein auffälliges Kind auf der Straße entdecken, klären sie, ob es Angehörige dazu gibt. Manchmal sind die Mamas tot, weil sie Aids hatten, manchmal sind sie behindert, überfordert, krank oder eben nicht in der Lage für die Kinder zu sorgen. Der Papa hat sich meistens schon früh aus dem Staub gemacht. Dafür bietet das Waisenhaus trotz des extremen Low-Level-Standards Zuflucht und Sicherheit für ca. 30 Kinder bis 18 Jahre. Hier bekommen sie regelmäßig drei Mahlzeiten, ein Bett, Kleiderspenden, können waschen und sind nicht allein. Sie gehen regelmäßig zur Schule. Grace hat das ganze Waisenhaus mit Unterstützung von Freunden vor drei Jahren eingerichtet. Respekt, Grace! Das hast du wirklich gut hinbekommen. Grace muss Geld sammeln für die Raummiete, die Kochfrau, das Essen, die Uniformen, z.T. für das Schulgeld u.v.m.

Gemeinsam überlegen wir, wie Grace auch Gewinne erwirtschaften kann, um das Haus durch eigene Einnahmen abzusichern. Ihre Idee: Antony, 17 Jahre alt, stellt Flüssigseife her und verkauft sie. Die Kinder stellen Ketten, Ringe und Armbänder aus (Papier-)perlen her. Sie soll einen Kredit für eine Nähmaschine bekommen. Die Kochfrau kann Uniformen nähen für die eigenen Kinder und zum Verkauf. Die Mädchen ohne weiterführende Schule werden im Nähen trainiert. Am Nachmittag habe ich mit den Kindern gespielt. Tief in meiner Erinnerung sind mir die Spiele von meinen Kindergeburtstagen eingefallen. Die waren so einfach und so lustig. Dann wollten sie gern Fußball spielen. Es gab ca. zwei bis drei Paar Sportschuhe für etwa zehn Kinder! Krass. Danach habe ich mich mit meiner Donation für ein paar schwarze Schuhe für 20 Kinder entschieden Die gab es dann zum Abschlussfest mit Kuchen und Getränken.

Fazit: In Kenia kannst du trotz hoher Korruption, teilweise purer Armut und ca. 50 Jahre rückständiger Entwicklung, friedlich und zufrieden leben. Unabhängig vom Staat kannst du dir mit Unterstützung von Familie und einigen guten Freunden eine kleine Existenz aufbauen, von der man zumindest das nötigste zum Leben erarbeiten kann. Ich würde gern noch mal wiederkommen und schauen, was sich verändern wird. Asante sana, Familie Mugo, für eure Gastfreundschaft.

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